Innere und äußere Räume
Anmerkungen zu Clara Oppels Klangkunst
Text: Florian Neuner
Übersetzung: Keith David Harris
Wie klingt Kunst? Nun, meistens gar nicht. Die traditionelle Malerei und Bildhauerei kennt keine Tonspur. In den Tempeln der Kunst war es bis vor kurzem still, oft sogar andächtig still, und allfällige Geräusche hatten Quellen, die außerhalb der Kunstwerke gesucht werden mussten. Sie waren jedenfalls kein Teil der Konzeptionen der in diesen Hallen ausstellenden Künstler. Freilich vermag auch die traditionelle, vor den Avantgarden des 20. Jahrhunderts und ihrer medialen Entgrenzung entstandene Kunst durchaus die akustische Vorstellungskraft anzuregen: Wie mag die Geräuschkulisse sich anhören, die man sich zu den dargestellten Szenen ja vorstellen kann? Wie mag der Sturm geklungen haben, den der Maler vielleicht vor Ohren hatte beim Malen des Seestücks, oder der Schlachtenlärm, wie die Soundscape der Kirmes oder die schnaubende Dampflokomotive? Dass es aber hauptsächlich darum gegangen sei, dass die Bilder gar nur als Folien gedacht gewesen sein könnten, diese Fantasien des inneren Ohrs auszulösen, wird niemand behaupten. Es ist hier die Rede von einem Nebenaspekt. Es ist aber nicht überflüssig sich bewusst zu machen, dass Klang und Kunst noch nicht so lange verschwistert sind und von Klangkunst erst seit vergleichsweise kurzer Zeit die Rede ist.
Die Klangkünstlerin Clara Oppel versteht ihr Handwerk. Das ist auf diesem Gebiet keine triviale Feststellung. Denn Klangkunst ist ein Begriff mit unscharfen Rändern. In der Klangkunst nähern Zeit- und Raumkunst sich einander an, ja durchdringen sich. Der Klang ist losgelöst von der kon-zertanten Aufführungssituation, aber auch von Tonträgern, wo die musikalischen Ereignisse einen definierten Anfang und ein definiertes Ende haben, und er ist eingebettet in einen gestalteten Raum, in dem – anders als in Konzertsälen – allem, was zu sehen ist, Bedeutung zugeschrieben wird, auch dann, wenn die Urheber einer Klanginstallation eigentlich nur ein paar Lautsprecher aufhängen wollen und Kabel verlegen müssen. Das ist als Feststellung so trivial, wie es reich an Konsequenzen ist, über die sich Klangkünstler Gedanken machen müssen. Die Klangkunst, in der Aspekte der Raum- wie der Zeitkunst zu reflektieren sind, ist so gesehen eine besonders anspruchsvolle und herausfordernde Kunst, wenn sie keine Konzessionen macht und es sich nicht auf der akustischen oder der skulpturalen Ebene zu einfach macht. Wenn ich schreibe, dass Clara Oppel ihr Handwerk versteht, dann denke ich an Handwerk im Plural: Da ist das Handwerk der Bildhauerin, aber auch das einer Gestalterin von Klängen. Für diese Facette des Handwerks gibt es keinen scharfen Begriff. Clara Oppel legt zwar Wert darauf, nicht als Komponistin wahrgenommen zu werden, aber die Tonspuren ihrer Arbeiten sind doch so durchgearbeitet und subtil gestaltet, ja komponiert, wie es Hörstücke von Radiokünstlern sind, denen wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen bereit sind. Einige ihrer Arbeiten sind auch als Hörstücke gesendet worden. Aber es sind Kompositionen für Räume. Zwar sind Kompositionen immer schon für bestimmte Räume, etwa Kirchen oder Konzertsäle, entstanden. In der Klangkunst spielt der Raum aber eine ungleich größere Rolle.
Die Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber weist darauf hin: „klang zu erzeugen, bedeutet ihn in einem raum zu erzeugen.“ Und sie schreibt weiter: „klänge sind informationen über den raum. auch wenn klänge informationen bergen, die wie die traditionelle konzertmusik ein kulturell erlerntes zeichensystem voraussetzen, sind sie nicht ganz aus raumbezügen herauszulösen. obwohl die speichermedien quasi transportable konzertsäle ermöglichen, besitzt in einem realen raum situierte kunst eine besondere qualität und anziehungskraft. die enge beziehung von kunst zu ihrer Umgebung gilt gleichermaßen im bereich der bildenden kunst.“ Es handelt sich also um eine in besonderem Maße, gewissermaßen doppelt, weil auf zwei medialen Ebenen, ortsspezifische Kunst, die Clara Oppel für die von ihr bespielten Räume erdenkt. Dabei haben ihre fein inszenierten Hörräume es nicht immer leicht, sich gegen den medialen Overkill der Gegenwartskünste zu behaupten. Denn Oppel geht nicht den brachialen Weg, sich mit ihren klanglichen Interventionen in den Vordergrund zu drängen und die akustische Umwelt schlicht zu übertönen – im Gegenteil, sie holt die Umgebungsgeräusche oft ganz bewusst in ihre Arbeiten hinein und schafft offene, durchlässige Hörräume.
Schon 1995 konnte der Kunsthistoriker Michael Glasmeier auf einen Trend verweisen, der mittlerweile zur kaum problematisierten Selbstverständlichkeit im Ausstellungsbetrieb der Biennalen und Museen geworden ist: „Fast überall, wo Kunst zur Erscheinung gebracht wird, piept es, flüstert es, rasselt es, lärmt es oder vokalisiert es auch, dass es eine Lust ist. Die Ruhe des Betrachters ist dahin, zumal beispielsweise im Museum mit seinen offenen Türen und Fluchten das minimalste Klangereignis ein oft unerwartetes Echo findet. Vorbei also die Zeit der stillen Einkehr vor dem Kunstwerk. Kunst ist Ereignis, das sich akustisch bemerkbar macht, um Zeit im Raum in Schwingungen zu versetzen.“
Aus dieser zutreffenden Beschreibung darf jedoch nicht gefolgert werden, dass die Klangkunst nun endlich ihren Siegeszug durch alle Museen angetreten hätte – im Gegenteil: Die Einbeziehung akustischer Ebenen in raumgreifende Installationen, ganz zu schweigen von den zahlreichen in Ausstellungen gezeigten Filmen, die ja meist auch einen Soundtrack haben, geschieht allzu oft wenig subtil, plakativ, sozusagen mit sehr grobem Pinsel. Aufmerksamkeit soll erregt werden, und dazu ist Klang ja auch in wahrnehmungspsychologischer Hinsicht ein probates Mittel auf den Jahrmärkten der Großausstellungen: Es ist schließlich einfacher wegzusehen als wegzuhören, das Piepen, Rasseln und Vokalisieren zu „überhören“. Die Klangkünstlerin aber arbeitet genau und wohlüberlegt an den Klängen, die sie in einem Raum zu hören geben möchte. Bei Clara Oppel werden das Sicht- und das Hörbare gewissermaßen Hand in Hand entwickelt. Sie spricht davon, „an den Schnittstellen von Klang, Raum, Installation und Skulptur“ zu arbeiten und schreibt: „Wie ich mit dem Klang umgehe, entscheidet gleichwertig auch das visuelle Moment.“ D. h.: Sie geht nicht von skulpturalen Ideen aus und denkt dann über so etwas wie einen dazu passenden Soundtrack nach. Sie fängt ihre Überlegungen aber auch nicht umgekehrt bei einem fertigen Hörstück an, um das sie dann gleichsam einen Rahmen bauen würde. Oppel geht vielmehr von Räumen und ihrer Akustik aus. Und die Akustik der Ausstellungsräume ist oft intrikat, spielt sie bei der Architektur von Museen und Galerieräumen doch traditionell nur eine geringe Rolle. Diese Räume sind zugeschnitten auf eine die optimale Präsentation von Bildwerken. Große, hohe Räume sind das, oft mit sehr viel Hall. Sich diesen räumlichen Herausforderungen zu stellen, hat Oppel inzwischen eine große Virtuosität entwickelt. Man denke nur an breathing space, eine 2015 für den Marburger Kunstverein konzipierte Bodenarbeit, bei der nicht weniger als 5400 Kalottenlautsprecher zum Einsatz kamen; oder an texere im Gasteig in München, wo Oppel 2020 Lautsprecher auf einer Wand installierte, der eine Glasfront gegenüberlag, sodass durch die Reflektionen ein Raumklangerlebnis entstand. Sie hat es aber auch schon mit der Akustik eines langen, gemauerten Ganges in Neustadt am Rübenberge aufgenommen oder schwimmende Lautsprecher zwischen Seerosen auf dem Funkhausteich in Graz ausgesetzt.
Die Klanginstallationen von Clara Oppel sind von den Räumen, in denen sie zu erleben sind, nicht zu trennen. Die Künstlerin spricht davon, eine Symbiose von Bild und Ton
erreichen zu wollen. Sie reist nicht – wie vielleicht eine Bildhauerin oder eine Malerin – mit fertigen Werken an, die dann in einem Museum oder einer Galerie nur noch aufgebaut werden müssen. Sie entwickelt ihre Arbeiten weitestgehend vor Ort. Ihre „Farbpalette“ besteht aus verschiedenen Arten von Lautsprechern, Schallwandlern und Kabeln, die sie vorrätig hat und je nach Anlass auswählt. Nicht selten sind in Oppels Installationen mehrere Tausend kleine Lautsprecher verbaut. Die Aufbauarbeit ist dann anspruchsvoll und erstreckt sich über mehrere Tage. Diese Klanginstallationen sind eigentlich nicht verpflanz- und wiederholbar. Und es ist auch schwierig, sie zu dokumentieren. Denn es stellt sich dann die Frage, ob versucht werden sollte, die Soundscape abzubilden, wie sie sich einem Besucher oder einer Hörerin vor Ort darbietet. Wobei auch bedacht werden muss, dass die Klangerlebnisse an verschiedenen Standpunkten in ein und demselben Raum sehr unterschiedlich sein können. Oder ob es angemessener wäre, das pure Hörstück, das aus den vielen Lautsprechern dringt, zu bringen. Dazu kommt, dass es sich häufig um vier- oder achtkanalige Arbeiten handelt, welche die gängige Stereofonie überfordern. Und auch wenn von der Wirkung, die Malerei und Grafik haben können, im besten Katalogdruck oft nur eine Ahnung zu vermitteln ist: Die Klangkunst ist flüchtig und noch schwerer abbildbar. Ein Katalog, der sich als vorläufige Summe dieses Augen und Ohren anregenden Œuvres versteht, sollte also nicht zuletzt als Einladung verstanden werden, die Orte, so weit das möglich ist, auch aufzusuchen.
Clara Oppels Klanginstallationen drängen sich nicht auf. Oft fragen sich die Hörerinnen und Hörer, zu denen die Ausstellungsbesucher durch die Interventionen der Klangkünstlerin gemacht werden, ob sie gerade Klänge vernehmen, die aus den Lautsprechern dringen, oder ein „komponiertes“ Hörstück. Diesem erkenntnisfördernden Verwirrspiel leistet Oppel dadurch Vorschub, dass sie oft Field Recordings in den Ausstellungsräumen oder in deren nahem Umfeld macht – sie spricht von „akustischen Photographien“ – und dann in ihren Installationen weiterverarbeitet. Und das stets im Wechselspiel mit den Gegebenheiten des Raums, in dem sie ganz bewusste, die Blicke leitende Akzente setzt. Es gibt Klangkünstler, die ausschließlich daran interessiert sind, einen akustischen Raum zu inszenieren, Lautsprecher und Kabel dabei eher verstecken beziehungsweise als not-wendiges Übel akzeptieren, jedenfalls damit nicht skulptural arbeiten. Ganz anders Clara Oppel, die ihre Installationen immer im Spannungsfeld zwischen dem Sichtbaren und dem Hörbaren entwickelt. Lautstärke setzt sie dabei nur äußerst sparsam als Gestaltungsmittel ein, so dass die Wirkung dann umso größer ist. Wer, von dem Klangraum angesprochen, sich hörend auf eine Arbeit von Clara Oppel einlässt, der wird sich in ihr bald zurechtfinden. Die Klangkünstlerin, und das ist keineswegs selbstverständlich, geht verantwortungsvoll mit dem Faktor Zeit um. Sie lässt über die Lautsprecher keine endlosen Tonspuren abspielen, zu deren adäquater Rezeption sich die Besucherinnen und Besucher stundenlang die Beine in den Bauch stehen müssten. Sie akzeptiert, dass sie mit ihrer Inszenierung eines Ausstellunsgsraums oder eines Platzes im öffentlichen Raum an Durchgangsorten arbeitet, wo ein Kommen und Gehen herrscht und wo kein Konzertpublikum sitzt, von dem die ungeteilte Aufmerksamkeit für ein akustisches Ereignis und eine längere Zeitstrecke erwartet werden kann. Durch diese vermeintliche Beschränkung gewinnt sie ungleich viel mehr: Sie schafft transitorische Hörräume, die von den Besucherinnen und Besuchern beim Durchqueren gelesen und verstanden werden können, oft auch zur Interaktion anregen. Ihre komprimierten Hörstücke, ob es sich nun um Field Recordings oder bearbeitete Sprachaufnahmen handelt, dauern selten länger als wenige Minuten und ermöglichen es den Besuchern so, die akustische Ebene tatsächlich zu erfassen und vielleicht auch von mehreren Hörpositionen aus wahrzunehmen.
In einer Arbeit, die dauerhaft im KunstGarten in Graz installiert ist, fädelt sich Oppels Hörstück behutsam in die Soundscape eines Gartens ein, die sich mit den Jahreszeiten natürlich auch ständig ändert. Das Werk darüber hinaus ist ein Sonderfall an visueller Zurückhaltung: In den Garten mit seinen vielen Skulpturen und künstlerischen Interventionen wollte Oppel nicht visuell eingreifen, sondern beschränkte sich auf das Aufhängen von vier Lautsprechern in der
Botanik, die – außer im Winter – gar nicht sichtbar sind. Wenn sie aber mit dem Blick der Bildhauerin Räume auch visuell gestaltet, dann geht Clara Oppel eigentlich immer sehr sparsam vor und beschränkt sich oft ganz auf das Arrangieren von vielen kleinen Lautsprechern, die manchmal Bänder bilden, die über Wände und Böden laufen oder sich zu Schriftzügen formieren. Andere optische Zugaben sind äußerst selten. In einer Installation, die 2021 in Solothurn zu sehen und zu hören war, waren 126 Schallwandler unter 126 Hygienemasken platziert. Und in einer Installation, die Oppel 2020 für den Kunstverein rotor in Graz geschaffen hat, bilden die Anordnung der Lautsprecher an der Wand ein auffällig abstraktes Muster, die an Zeichnungen der Künstlerin anknüpfen.
Die Technik ist für Clara Oppel ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck. Zwar weiß sie sich ihrer virtuos zu bedienen, aber sie tritt in den Arbeiten zurück und ist für die Künstlerin kein Fetisch. In einer Klangskulptur aus dem Jahr 1999 hängen Telefonhörer an Kabeln von der Decke und beschallen den Ausstellungsraum. Die Besucherinnen und Besucher konnten ihre Position zwischen den auf Ohrenhöhe hängenden Hörern, die als Lautsprecher dienten, wählen. Mit nur etwas mehr als 20 Jahren Abstand ist das ein seltsam anmutendes Bild, ähnlich der vielen alten Fernsehgeräte bei Nam June Paik, sind Telefonkabel und Festnetztelefone dieser Bauart doch inzwischen weitgehend aus unserem Alltag verschwunden. Und bald werden wohl auch die Kabel verschwunden sein und endgültig von drahtlosen Verbindungen ersetzt werden. Für Clara Oppel sind sie einstweilen noch ein wichtiges Gestaltungselement – Linien, die sie durch den Raum ziehen, an die Wand bringen kann, oder die Strukturen an der Rückseite von Pergamentbögen bilden wie in Simorgh I. Der Titel spielt auf ein Fabelwesen des persischen Dichters Fariduddin Attar und dessen Buch Vogelgespräche an.
An dieser Stelle ist eine Differenzierung nötig. In Clara Oppels Werk gibt es nicht nur die im Grunde unwiederholbaren Raumgestaltungen als Klangskulpturen, sondern es gibt auch sogenannte Klangobjekte wie eben beispielsweise Simorgh I: Die vier Pergamentbögen mit den eingebauten Schallwandlern können an verschiedenen Orten aufgehängt werden, was freilich nicht heißt, dass sie überall gleich klingen. Es bedarf dann schon der Anwesenheit der Klang-künstlerin, die über die genaue Positionierung entscheidet. Um Klangobjekte handelt es sich auch bei der Schale aus Wort, die, gebildet aus Lautsprechern, wie ein Schirm über die Hörer gespannt werden kann oder vom Boden her den Raum beschallt, und bei unterwegs: Aus einem altmodischen Koffer quellen Lautsprecher. Simorgh I und Schale aus Wort bezeichnet Clara Oppel darüber hinaus als „Lautgedichte“. Das legt einen Akzent auf die Tatsache, dass Sprache in vielen Arbeiten eine herausgehobene Rolle spielt, allerdings nicht als alltagssprachliches Verständigungsmedium, das in dem von Oppel bespielten Raum semantische Akzente setzen würde. Der Terminus Lautgedicht verweist darauf, dass hier die akustische Dimension von Sprache in den Vordergrund rückt, dass Sprache jenseits der Wortverständlichkeit musikalisch gehört werden soll; Gerhard Rühm spricht von „auditiver poesie“. Bei Clara Oppel verhält es sich so, dass sie nicht etwa mit Lautgedichten arbeitet und diese in ihre Hörstücke integriert. Die Lautpoesie entsteht gewissermaßen durch Bearbeitung, gesprochene Sprache wird verhackstückt, neu arrangiert und komprimiert. Die Klangkünstlerin geht dabei auch so weit, Texte des 2001 verstorbenen Schriftstellers Christian Loidl, die dieser für sie eingesprochen hatte, so eingreifend zu bearbeiten, dass die Semantik sich ganz verflüchtigt und reine Sprachmusik daraus wird. In der Installation Schlafstimmen ist die Stimme von Christian Loidl aus Tassen und Teekannen zu hören. Friedrich W. Block spricht in diesem Zusammenhang von „sprachbasierter Klangkunst“ und hat damit einen ganz wesentlichen Teil des Werks von Clara Oppel im Blick.
Aber nicht immer gibt es etwas zu hören bei Clara Oppel. Ein „Objekt ohne Ton“ etwa – und das beleuchtet auch den allgegenwärtigen Humor der Klangkünstlerin –, das 2007 im Kunsthaus Essen ausgestellt war, trägt den Titel Schlechte Brille: Anstelle der Gläser sind Lautsprecher in das Brillengestell eingesetzt. Daran hängen zwar Kabel, aber nur lose, ohne Verbindung zu einer Schallquelle, es ist nichts zu hören. Mit dieser Brille kann man nicht sehen, aber auch zu hören ist über die Lautsprecher nichts, welche die Gläser ersetzen. Hier gehen Bild und Ton nicht Hand in Hand, sondern hebeln sich gegenseitig aus. Selbstironie der Klangkünstlerin oder Resignation in einer akustisch hoffnungslos verschmutzten Welt? „Den öffentlichen Raum dominieren Schmutz und Schund. Akustischer Schund und visueller Schmutz, akustisches und visuelles Rauschen“, stellt Peter Weibel zutreffend fest. „Der öffentliche Raum ist voll mit Werbung und Lärm. Der Lärm von Autos, von Straßenbahnen, von Maschinen, Baustätten, Straßenarbeiten usw. Der öffentliche Raum ist voll von Reklame, Werbung, Propaganda. Der öffentliche Raum ist ein Euphemismus, eine Heuchelei. Es gibt nämlich den öffentlichen Raum gar nicht mehr, er ist vollkommen privatisiert durch Werbung und Reklame. Er ist kolonialisiert von privaten Firmen und vom Staat, der den öffentlichen Raum an private Firmen verkauft.“
Der Musiktheoretiker Heinz-Klaus Metzger hat sinngemäß einmal gesagt, die Kunstmusik habe im Grunde nur zwei Chancen, auf die von Weibel skizzierte Situation zu reagieren: indem sie entweder versucht, den Lärm der Welt mit futuristischen Materialschlachten gleichsam zu übertönen; oder aber durch eine bewusste Zurücknahme, die zum Hinhören zwingt. Diese akustische Abrüstung, auf deren Seite sich zweifellos auch Clara Oppel mit ihren vorsichtigen akustischen Interventionen stellt, scheint mir eindeutig die zeitgemäßere Antwort zu sein. Peter Weibel traut der vergleichsweise jungen Klangkunst in diesem Zusammenhang noch sehr viel zu und möchte sie noch mehr im öffentlichen Raum vertreten sehen: „Soundart darf aber nicht nur in geschlossenen Räumen der Museen stattfinden, sondern soll auch in den offenen urbanen Räumen, im sogenannten öffentlichen Raum, stattfinden. Dem urban sound des städtischen Verkehrs muss eine akustische urban art als Ästhetik des Widerstands gegenübergestellt werden.“
Ein Klangobjekt mit dem Titel Sfumato aus dem Jahr 2013 bringt besonders schön auf den Punkt, wie Clara Oppel versucht, „synästhetische Situationen“ zu schaffen: Auf den offenstehenden Flügeln eines Fensters – einen Flügelaltar zu assoziieren liegt nahe – sind Lautsprecher angebracht. Das „Bild“ in der Mitte aber ist leer. Der Rahmen gibt den Blick auf ein weißes Stück Wand frei. Auf der akustischen Ebene sind zunächst weißes und rosa Rauschen zu hören, ehe sich Fragmente von Sprache herausschälen.